Tipps für Eltern
Eltern, deren Kinder eine Gerinnungsstörung haben, stehen vor besonderen Herausforderungen. Auf was müssen wir achten? Was darf mein Kind, was darf es nicht? Wie bringe ich meinem Kind bei, mit seiner Krankheit selbstbestimmt umzugehen? Auf dieser Ratgeberseite teilen wir einige Tipps und Tricks, die Sie beim Umgang mit diesen Herausforderungen unterstützen.
Direkt nach der Diagnose. Mein Kind ist krank, was nun?
Die Diagnose einer (noch) nicht heilbaren Krankheit ist für Eltern meistens erst einmal ein Schock. War die Krankheit in der Familiengeschichte bisher nicht bekannt, stehen sie zudem vor einem Berg an Informationen zu einer Krankheit, von der sie vorher nur wenig oder noch gar nichts gehört haben. Unser erster Tipp ist daher vielleicht auch unser wichtigster:
Keine Panik! Gerinnungsstörungen lassen sich gut behandeln.
Heute lassen sich Gerinnungsstörungen (wie z. B. Hämophilie oder das Von-Willebrand-Syndrom) in den allermeisten Fällen gut und erfolgreich behandeln, sodass Betroffene und ihre Familien ein völlig normales Leben führen können. Zudem gibt es in der DACH-Region ein hervorragendes Support-Netzwerk aus Blutungszentren, Homecare-Diensten, Apotheken und Selbsthilfeorganisationen. Ja, die Krankheit erfordert Anpassungen und ist eine Herausforderung, aber Sie sind nicht alleine. Gehen Sie einfach einen Schritt nach dem anderen und schon bald haben Sie das Know-how und die Routine, im Alltag ganz selbstverständlich mit der Krankheit Ihres Kindes umzugehen.
Darüber hinaus haben wir noch einige weitere Tipps für Sie.
Wohnungssicherung
Sorgen Sie für ein sichereres Umfeld für Kleinkinder und vermeiden Sie so unnötige Verletzungen:
- Achten Sie darauf, dass Ihre Möbel nicht leicht umkippen können; beispielweise, wenn ein Kind sich daran hochziehen möchte.
- Überlegen Sie genau, wie Sie Messer, Scheren und andere scharfe Gegenstände kindersicher aufbewahren.
- Polstern Sie Ecken von Couchtischen und anderen Möbelstücken, an die Ihr Kind beim Herumtoben stoßen könnte.
- Sichern Sie Treppen oben und unten mit Gittern ab.
- Entfernen Sie Teppiche und Aufleger, die rutschen oder Kinder zum Stolpern bringen könnten.
- Halten Sie Türen zu Bereichen verschlossen, die nicht kindersicher sind.
- Ändern Sie Ihre Perspektive. Gehen Sie auf Knien durch Ihr Zuhause und betrachten die Wohnung aus den Augen Ihres Kindes. Woran würden Sie gerne ziehen? Was könnte um- oder herunterfallen? Wo besteht Sturzgefahr?
Kinder, die laufen und spielen lernen, fallen um und stoßen sich an. Daher kann es bei schwereren Gerinnungsstörungen sinnvoll sein, in bestimmten Lebensphasen Polster in den Bereichen Knie, Ellenbogen und Gesäß einzunähen. In besonderen Fällen kann man auch vorrübergehend über den Tragen eines Schutzhelm nachdenken.
Schutz durch Kleidung
Bewegungsmuster der Kinder kennenlernen
Achten Sie darauf, wie sich Ihr Kind bewegt. Abweichungen vom normalen Bewegungsmuster (z. B. Schonhaltungen) könnten auf eine Verletzung hinweisen, die behandlungsbedürftig ist. Gerade kleine Kinder können den Ursprung von Schmerzen noch nicht immer genau lokalisieren (oft tut einfach alles im Bauch weh). Die Bewegung des Kindes kann hier wichtige Hinweise geben.
Auch Kinder mit einer Gerinnungsstörung können Toben, Klettern und Herumrennen. Und ja, kleine Unfälle gehören zum Großwerden dazu. Bei Ihrem Kind wird es dann zwar wichtig, schnell zu klären, ob Behandlungsbedarf besteht, dennoch sollten diese Kinder so normal wie möglich aufwachsen können. Zum einen gehört das dazu, um selbstbewusst mit der eigenen Krankheit leben zu lernen, zum anderen bauen Kinder so eine gesunde Muskulatur auf und entwickeln ein gutes Körpergefühl – und das schützt sie vor Verletzungen.
Kinder Kind sein lassen
Andere Familien treffen
Finden Sie eine Selbsthilfegruppe und lernen Sie eine andere Familien kennen, die ein Kind mit einer Gerinnungsstörung hat. Gerade bei älteren Kindern werden Sie sehen und erleben: Das ist ein ganz normales Kind. Das kann sehr beruhigend sein und helfen, nicht immer alles vor dem Hintergrund der Krankheit zu sehen. Auch der Erfahrungsaustausch mit den Eltern kann unglaublich wichtig sein.
Eine Übersicht an Selbsthilfegruppen finden Sie in unserem Ratgeberartikel zum Thema.
In Schulungen erlernen Sie und Ihr Kind die eigenständige Durchführung der Therapie, d. h. Sie lernen selbst, die Gerinnungsfaktoren zu verabreichen. Das macht Sie nicht nur selbstständiger, sondern kann auch sehr hilfreich sein, wenn doch mal ein Notfall eintritt.
Schulungsangebote wahrnehmen
Dem Kind früh Verantwortung bei seiner Behandlung geben
Je nach Schweregrad der Krankheit benötigt Ihr Kind ggf. regelmäßig Injektionen. Das empfinden Kinder (und nicht nur die) natürlich erst einmal als unangenehm. Am besten ist es, wenn die Behandlung nicht etwas ist, das Ihrem Kind regelmäßig zustößt, sondern es möglichst früh aktiv eingebunden wird und so auch Einfluss auf die Abläufe erhält. Hierbei können altersgerechte Rituale eine große Rolle spielen – beispielsweise, indem das Kind immer auswählen darf, welche Geschichte vorher vorgelesen wird. Oder welches Pflaster es am Ende bekommt. Je älter das Kind wird, desto mehr Schritte kann es auch selbst übernehmen. Das Ziel ist normalerweise, das Kind so früh wie möglich an das selbstständige Spritzen heranzuführen. Das gelingt oft schon im Verlauf der Grundschule. (Bauen Sie jedoch keinen Druck auf! Jedes Kind geht seinen eigenen Weg!)
Homecare-Dienste können die Behandlung Ihres Kindes sowie Schulungen bei Ihnen zuhause durchführen. Das kann verschiedene Vorteile haben. Oft integriert sich beispielweise die Therapie besser in den Familienalltag; insbesondere, wenn das nächste Zentrum etwas weiter weg ist. Und es kann eine tolle Möglichkeit sein, Ihr Kind an die Behandlung heranzuführen. Viele Kinder fühlen sich beim Spritzen zuhause im vertrauten Umfeld wohler.
Unterstützung durch Homecare-Dienste
Krippe, Kindergarten und Schule
Kinder, die in die Krippe, den Kindergarten oder die Schule gehen, sind in dieser Zeit nicht mehr in der direkten Obhut ihrer Eltern. Das sorgt manchmal für Anspannung und Sorgen. Mit diesen Tipps stellen Sie sicher, dass alles optimal vorbereitet ist – was Ihnen auch helfen kann, sich selbst zu entspannen.
Betreuungspersonen informieren und vorbereiten
Information und Vorbereitung sind alles! Gerinnungskrankheiten gehören zu den seltenen Erkrankungen. Es kann also gut sein, dass die Betreuungspersonen noch nie mit der Krankheit Ihres Kindes zu tun hatten – und sich dementsprechend unsicher im Umgang damit fühlen. Reden Sie mit den Betreuungspersonen offen über die Krankheit Ihres Kindes. Wichtig sind die folgenden Schritte zur Aufklärung und Vorbereitung:
- Das Betreuungs- und Aufsichtspersonal muss wissen, dass Ihr Kind eine Gerinnungsstörung hat.
- Verletzt sich das Kind (oder besteht der Verdacht auf eine Verletzung) muss bekannt sein, wie auf welche Symptome reagiert werden muss. Geben Sie dem Betreuungspersonal z. B. diesen Leitfaden der Deutschen Hämophiliegesellschaft mit. Er nimmt zugleich viele Ängste und ist eine gute Vorbereitung.
- Vor Ort sollte vorhanden sein:
- Ihre Kontaktdaten und die Kontaktdaten des betreuenden Blutungszentrums
- Der Notfallausweises des Kindes mit allen Infos
- Coolpacks und ein Faktorpräparat, das ein Arzt bei Bedarf vor Ort geben kann, wenn es einmal nötig ist. Hier auf Haltbarkeit und korrekte Lagerung achten.
Kinder merken es, wenn immer alle ängstlich sind. Machen Sie dem Betreuungspersonal klar, dass Ihr Kind nicht zerbrechlich ist und keine dauernde Sonderbehandlung braucht. Wichtig ist nur, richtig zu reagieren, wenn doch einmal etwas ist (z. B. wenn der Verdacht auf eine Gelenk- oder Muskelblutung besteht). Dabei müssen Betreuer und Lehrer keine medizinischen Experten werden. Es reicht, wenn sie im Zweifelsfall immer Sie oder das Blutungszentrum kontaktieren, um die Situation zu besprechen. Das Motto lautet: Aufmerksam sein und im Zweifelsfall einfach anrufen.
Ängste nehmen und Ansprechpartner bieten
Sportunterricht geht!
Ihr Kind kann und darf Sport machen. Sport ist sogar gut für Ihr Kind. Es kann so ein gesundes Körpergefühl aufbauen. Tipps zum Sportunterricht:
- Sprechen Sie frühzeitig mit den Verantwortlichen (z. B. Sportlehrer/in) darüber, wie die sportlichen Aktivitäten so gestaltet werden können, dass Ihr Kind meistens daran teilnehmen kann. Auch wenn nicht alles geht, Ihr Kind sollte nicht dauernd und routinemäßig von sportlichen Aktivitäten ausgeschlossen werden.
- Ziehen Sie bei Bedarf das behandelnde Blutungszentrum zur Beratung hinzu. Gerade bei Sportlehrer/innen gilt auch hier wieder: Ängste abbauen ist wichtig.
- Optimalerweise findet die Prophylaxe kurz vor dem Sportunterricht statt.
Inwieweit mit den anderen Kindern über die Krankheit gesprochen wird, ist eine etwas knifflige Frage. Auf der einen Seite sollte Ihr Kinde nicht dauernd wegen seiner Erkrankung in den Mittelpunkt gestellt werden, auf der anderen Seite ist es wichtig, dass gewisse Grenzen eingehalten werden. Am besten reden Sie mit dem Betreuungspersonal und finden gemeinsam eine Lösung, die zu Ihrem Kind und zur Gruppe passt. Am Ende gilt jedoch meistens: Einfach nicht darüber reden ist keine gute Lösung.
Mit den anderen Kindern reden
Allgemeines
(noch mehr Tipps!)
Hier noch einige allgemeine Tipps.
Wichtig!
Kinder lernen schnell, wie sie unsere Aufmerksamkeit bekommen. Daher kann es sein, dass Ihr Kind eine Phase hat, indem es seine Krankheit „benutzt“, um auf sich aufmerksam zu machen. Das ist normal. Nehmen Sie trotzdem auch in diesen Zeiten jedes „Aua“ ernst und geben Sie dem Kind nicht das Gefühl, es dürfe nicht über Symptome sprechen.
Wenn Kinder zahnen, ist das für Eltern oft eine besonders anstrengende Zeit. Bei Kindern mit einer Gerinnungsstörung kann es hierbei zudem zu Blutungen kommen, die behandlungsbedürftig sind. Allgemein zum Thema Zähne und Zahnarzt: Eltern und auch Patienten machen sich vor zahnmedizinischen Eingriffen oft Sorgen. Aber: Prinzipiell ist hier alles möglich, was auch bei Gesunden geht. Nur ist manchmal eine entsprechende Prophylaxe (Faktorgabe) nötig. Sprechen Sie darüber mit Ihrem Zahnarzt und Ihrem Blutungszentrum.
Zahnen und Zähne
Urlaub
Urlaub ist kein Problem. Klären Sie einfach vorher ab, an wen Sie sich am Urlaubsort im Notfall wenden können. Manche Homecare-Dienste bieten zudem einen speziellen Service für Urlaub und Reisen, um die Versorgung der Patienten auch unterwegs sicherzustellen. Achtung: Geht es per Flugzeug in den Urlaub, sollten Sie vorher mit Ihrem Blutungszentrum über den Transport der Gerinnungsfaktoren sprechen. Im normalen Flugzeugladeraum wird es zu kalt – und um die Mittel mit in den Passagierraum zu nehmen, benötigen Sie bestimmte Zollerklärungen.
Rund um Gerinnungskrankheiten wie die Hämophilie hat sich ein sehr gutes Netzwerk an Unterstützern und Organisationen etabliert, die betroffenen Familien eine Vielzahl an tollen Angeboten machen. Beispielweise organisieren die Deutsche Gesellschaft für Hämophilie und andere Organisationen Camps für Kinder und Jugendliche. Dort lernen Sie andere Kinder mit der gleichen Krankheit kennen und lernen von Profis mit viel Erfahrung, sich eigenständig zu spritzen. Und Eltern können einmal eine Weile ausspannen und wissen, dass Ihre Kinder in guten Händen sind, die sich mit der Erkrankung auskennen. Andere Angebote sind z. B. Fahrradtouren oder auch Schiedsrichterkurse, die es Blutern ermöglichen, beim Fußball mitzumachen. Kurz: Es lohnt sich wirklich, darauf zu achten, was alles geboten wird.
Es gibt viele tolle Angebote
Auch unterwegs vorbereitet sein
Machen Sie es von Anfang an zur Routine, dass Ihr Kind immer diese Dinge im Rucksack oder der Tasche hat: Coolpack(s), Pflaster, Notfallausweis wichtige Telefonnummern (z. B. Ihre Nummer und die Nummer des Blutungszentrums). In einigen Fällen, sollte auch ein Faktorpräparat mit Zubehör zum Verabreichen in einer kleinen Kühltasche Platz finden. Zudem gibt es Notfallarmbänder, Apps und Aufkleber für das Auto, um im Notfall Retter auf die Erkrankung hinzuweisen. Auch Eltern von Freunden, die Großeltern etc. sollten wichtige Informationen erhalten, falls das Kind mal zum Spielen woanders ist.
Kinder großzuziehen ist für alle Eltern eine Herausforderung. Und besonders bei Kindern mit einer chronischen Krankheit fällt das Loslassen manchmal schwer. Aber: Sie müssen nicht alles alleine schaffen. Beziehen Sie Familie und Freunde in die Betreuung Ihres Kindes ein. Treten Sie in Kontakt mit einer Selbsthilfegruppe und tauschen sich mit anderen Familien aus, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Achten Sie darauf, dass Sie auch einmal Zeit für sich finden.
Hilfe annehmen
Autor
Christiane Wiemann
Erstellungs-/Änderungsdatum
11.08.2021 /
MEDIZINISCHE EXPERTIN
Susanne Ritter
Exam. Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin
Lead Nurse Hämophilie
– Kontakt –
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