Meine Mutter, die Konduktorin
Es müssen harte Jahre gewesen sein, ein hypteraktives Kind großzuziehen, das an Hämophilie leidet. Wie viel meine Mutter gegeben hat, vor allem mental, ach – ich werde ihr das nie vergessen. Sie sorgte sich ständig. Schließlich hatte ich immer wieder Blutungen, musste ewig in Krankenhäusern liegen und oft und lange zu Ärzten fahren, die mir sagten, dass ich mit dreißig nicht mehr laufen würde, wenn es so weiterginge.
Ja, einen nicht unerheblichen Teil meiner Kindheitserinnerungen machen Momente mit meiner Mutter aus. In Wartezimmern, Krankenhausbetten, MRT-Röhren und auf langen Fahrten im Auto. Immer war sie da. Sie ist eine Heldin, meine Mama.
Aber da gab es noch etwas, das auf ihr lastete: Sie fühlte sich schuldig. Denn wegen ihr, so dachte sie, war ich an Hämophilie erkrankt, wegen ihr, so ihre Logik, musste ich all die schweren Stunden durchmachen, mich mit meiner Krankheit abfinden, mich meiner Existenz auf der Erde grämen. Meine Mutter ist Konduktorin, so nennt man das unter Medizinern, sie ist Überträgerin. Mir hat sie ein fehlerhaftes X-Chromosom vererbt, das meine Krankheit, die Hämophilie, in sich trug.
„Überträgerin“. Das klingt nach Schuld, oder? Kein Wunder, dass sie sich schlecht fühlte. Aber das Spiel mit der Schuld ist eines, das kein Ende findet: Man könnte sie weiterschieben, die Schuld, zu meinem Großvater zum Beispiel. Der hatte ja auch Hämophilie, und hat sie an meine Mutter weitergeben. Er hätte auch keine Kinder bekommen müssen! Und meine Urgroßmutter auch nicht, und mein Urgroßvater, ja, der auch nicht.
Mama, möchte ich ihr sagen: Dich trifft keine Schuld! Was hättest Du tun sollen? Niemand sollte Dir zum Vorwurf machen, dass Du Kinder, dass Du eine Familie wolltest. Nein, ich als Dein Kind möchte mich bei Dir bedanken. Bedanken dafür, dass Du mich – trotz deiner Bedenken – auf die Welt gebracht hast. Es gefällt mir ganz wunderbar hier, auch mit Hämophilie.