Kinderwunsch und Schwangerschaft
Menschen, die an Hämophilie oder einer anderen Gerinnungsstörung leiden, stehen bei der Familienplanung vor vielen Fragen, die sich andere Paare nicht stellen müssen. Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass mein Kind die Krankheit erbt? Welche Risiken sind mit der Schwangerschaft und der Geburt verbunden? Vor welchen Herausforderungen stehen Eltern von Kindern mit Gerinnungsstörungen? Auf dieser Seite haben wir Ihnen einige Antworten zu diesen und anderen Fragen zusammengestellt.
Unser wichtigster Tipp: Ärztliche Beratung
Wir können hier nur allgemeine Informationen für Sie zusammenfassen, Ihre Situation ist aber immer individuell. Daher ist unser wichtigster Ratschlag, bei der Familienplanung früh einen Ärztinoder einen Arzt Ihres Vertrauens hinzuzuziehen und sich eingehend beraten zu lassen.
Familienplanung & Vererbung
Die meisten Gerinnungsstörungen werden durch einen genetischen Defekt verursacht. Dies stellt Betroffene bei der Familienplanung vor die Frage, wie wahrscheinlich es ist, dass sie die Erkrankung an ihre Kinder weitergeben. Die Antwort hängt davon ab, um welche Form der Hämophilie bzw. um welche Gerinnungsstörung es sich handelt und wie diese vererbt wird.
Hämophilie A und Hämophilie B: Bei der Vererbung der Hämophilie spielt es eine große Rolle, ob der Vater oder die Mutter den Gendefekt tragen und ob ihr Kind ein Junge oder ein Mädchen ist. Hat der Vater Hämophilie, wird keiner seiner Söhne unter Hämophilie leiden; seine Töchter erhalten dagegen in jedem Fall das defekte X-Chromosom und sind somit immer Überträgerinnen (Konduktorinnen). Konduktorinnen haben meist keine oder nur sehr milde Symptome, können die Krankheit aber mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % an ihre eigenen Söhne weitergeben; bei den Töchtern einer Konduktorin besteht eine Wahrscheinlichkeit von 50 %, ebenfalls Konduktorin zu sein.
Übersicht:
- Vater (XY) hat Hämophilie
Sohn: gesund, keine Hämophilie
Tochter: mit 100%iger Wahrscheinlichkeit Konduktorin
- Mutter (XX) ist Konduktorin
Sohn: mit 50%iger Wahrscheinlichkeit Hämophilie
Tochter: mit 50%iger Wahrscheinlichkeit Konduktorin
Von-Willebrand-Syndrom: Im Gegensatz zur Hämophilie A und Hämophilie B betrifft das Von-Willebrand-Syndrom Männer und Frauen gleichermaßen. Bei einigen Formen des Von-Willebrand-Syndroms tritt die Krankheit nur zum Vorschein, wenn beide Elternteile den entsprechenden Gendefekt an ihre Kinder weitergeben, bei anderen genügt es, wenn dies ein Elternteil tut. Die Ausprägung der Blutungsneigung ist beim Von-Willebrand-Syndrom sehr variabel und kann sich bei Eltern und ihren Kindern unterscheiden.
Das Thema Vererbung ist komplex. Daher beschreiben wir die Hintergründe auf unserer Ratgeberseite Vererbung etwas genauer. Dort führen wir in die wichtigsten Begriffe und Grundlagen ein, die Sie benötigen, um die Vererbung von Hämophilie und anderen Gerinnungsstörungen zu verstehen. Besprechen Sie Ihre Fragen jedoch bitte auch auf jeden Fall mit Ihrer Ärztin oder Ihrem Arzt.
Schwangerschaft & Geburt
Vor und während der Schwangerschaft
Es gibt eine Reihe von Untersuchungen, die für betroffene Frauen vor und während der Schwangerschaft sinnvoll sind (auch für Konduktorinnen). Dazu gehören das Ermitteln der Gerinnungswerte, des Eisenhaushalts und ein Blutbild.
In der Schwangerschaft steigen Gerinnungsfaktoren – vor allem Fibrinogen, Faktor VIII und Von-Willebrand-Faktor – physiologisch an. Dies führt zur Normalisierung der Werte, sodass die Blutungsgefahr in der Schwangerschaft meistens zu vernachlässigen ist; nach der Geburt fallen die Gerinnungsfaktoren jedoch wieder auf das ursprüngliche Niveau ab, sodass Nachblutungen möglich sind.
Je nach Faktoraktivität können aber auch schon während der Schwangerschaft Faktorgaben und weitere Gerinnungskontrollen nötig werden. Treten im Verlauf der Schwangerschaft vaginale Blutungen auf, sollten Sie unverzüglich Ihre Frauenarztpraxis und ein Hämophiliezentrum kontaktieren.
Diagnostik während der Schwangerschaft
Es gibt eine Reihe an diagnostischen Möglichkeiten (Pränataldiagnostik), mit denen bereits in der Schwangerschaft bestimmt werden kann, ob ein Kind Hämophilie oder eine andere Gerinnungsstörung hat, beispielsweise eine Fruchtwasseruntersuchung oder eine Plazentapunktion. Eine solche Untersuchung kann z. B. für die Planung der Geburt eine Rolle spielen, falls es in der Familie um eine schwere Hämophilie gehen sollte. Die Entscheidung für oder gegen eine pränatale Untersuchung ist eine sehr persönliche und kann nur in Absprache mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten erfolgen, die über Vorteile und Risiken aufklären können.
Geburt
Konduktorinnen können ihre Kinder meist auf ganz natürlichem Wege zur Welt bringen. Dennoch muss bei der Geburt und im Rahmen der Nachsorge einiges beachtet werden – sowohl für das Wohl der Mutter als auch für das Wohl des Kindes. Beispielsweise gilt es, die Faktoraktivität der Mutter im Blick zu behalten und ggf. Gerinnungsfaktoren zu verabreichen. Auch werden Kinder, die möglicherweise an einer Gerinnungsstörung leiden, nach der Geburt besonders sorgfältig untersucht, um sicherzustellen, dass keine inneren Blutungen vorliegen. Konnte in der Schwangerschaft nicht ausgeschlossen werden, dass das Kind Hämophilie hat, wirkt sich dies auf die Geburtsplanung und den Ablauf selbst aus (z. B. sollten keine Zangen oder Glocken verwendet werden, da hier ein Verletzungsrisiko besteht).
Denken Sie daher im Voraus über die Geburtsklinik mit hämostaseologischer Versorgung nach. Falls keine wohnortnahe Spezialklinik verfügbar ist, sind spezielle Empfehlungen aus Ihrem Hämophiliezentrum streng zu beachten; stellen Sie sicher, dass eine Geburtsklinik in Ihrer Nähe Bescheid weiß, um die entsprechenden Vorkehrungen treffen und Sie entsprechend beraten zu können.
Kinder mit Hämophilie oder anderen
Gerinnungsstörungen
Für Eltern, deren Kinder an Hämophilie oder einer anderen Gerinnungsstörung leiden, gibt es eine gute Nachricht: Die meisten dieser Erkrankungen lassen sich mittlerweile sehr gut behandeln, sodass die Kinder ein weitestgehend normales Leben führen können. Dennoch stellt die Erkrankung des eigenen Kindes natürlich eine große Herausforderung und oft auch eine emotionale Belastung dar. Eltern betroffener Kinder müssen mehr lernen und mehr organisieren als Eltern von Kindern, die keine Gerinnungsstörung haben.
Unser wichtigster Ratschlag hier ist: Sie sind nicht allein! Nicht nur die Behandlungsmöglichkeiten haben sich in den letzten Jahrzehnten erheblich verbessert, auch die Support-Infrastruktur hat sich immer weiter verbessert. Drei wichtige Anlaufstellen für Sie:
Hämophiliezentren
Es gibt in ganz Deutschland spezielle Zentren für Hämophilie, die Sie beraten und bei der Behandlung unterstützen. Welche Zentren in Ihrer Nähe zu finden sind, sehen Sie beispielsweise hier: https://www.dhg.de/haemophiliezentren.html
Heimtherapie
Wenn Ihr Kind an einer Gerinnungsstörung leidet, kommt früher oder später eine Heimtherapie infrage, bei welcher intravenöse Faktorgaben regelmäßig oder bei Bedarf von den Eltern verabreicht werden. Dies kann am Anfang schwierig oder gar einschüchternd wirken. Glücklicherweise gibt es mittlerweile flächendeckende Angebote von Homecare-Dienstleistern, die zu Ihnen nach Hause kommen und Ihnen zeigen, wie es geht – und die Sie begleiten, bis Sie sich wirklich sicher sind, dass Sie die Behandlung eigenständig weiterführen können. Oft bleibt Ihnen die Nurse eines solchen Dienstleisters auch langfristig als Ansprechpartner/in für Fragen und Alltagssorgen erhalten – auch wenn sie die Therapie Ihres Kindes schon lange selbstständig und sicher durchführen.
Selbsthilfegruppen und Patientenverbände
Andere standen und stehen vor den gleichen Herausforderungen wie Sie. Manchmal ist das Beste, was passieren kann, mit jemandem zu reden, der die gleichen Probleme lösen muss wie man selbst. Vielleicht hat jemand einen Tipp für Sie, mit dem ein scheinbar unlösbares Problem handhabbar wird. Oder Sie können das gute Gefühl genießen, wenn eine Lösung, die Sie gefunden haben, einem anderen Elternpaar das Leben plötzlich leichter macht.
Mehr Informationen sowie weitere Selbsthilfegruppen finden Sie auf unserer Ratgeberseite zum Thema Selbsthilfegruppen.
Die beiden größten Patientenverbände in Deutschland sind:
Deutsche Hämophiliegesellschaft (DHG)
Die DHG ist mit über 2.300 Mitgliedern bundesweit aktiv und setzt sich seit 1956 für die Interessen von Menschen ein, die an einer angeborenen oder erworbenen Blutungsstörung leiden.
Deutsche Hämophiliegesellschaft e. V. (DHG)
Neumann-Reichert-Straße 34
22041 Hamburg
Telefon: 040 - 672 29 70
Telefax: 040 - 672 49 44
E-Mail: dhg@dhg.de
Interessengemeinschaft Hämophiler (IHG)
Die IHG wurde 1992 gegründet und weist über 950 Mitglieder aus ganz Deutschland auf. Die Interessensgemeinschaft vertritt Menschen mit einem angeborenen Blutungsleiden sowie deren Angehörige.
Interessengemeinschaft Hämophiler e. V.
Remmingsheimer Straße 3
72108 Rottenburg am Neckar
Telefon: 07472 - 22648
E-Mail: mail@igh.info
Autor
Susanne Ritter
Christiane Wiemann
Redaktionelle Bearbeitung
Jenny Tremmel
Erstellungs-/Änderungsdatum
20.08.2021 /
MEDIZINISCHER EXPERTE
Prof. Dr. Florian Langer
Leiter des Bereichs Hämostaseologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
– Kontakt –
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