Reisen mit Hämophilie
Grenzen sprengen
Wie der Bereich des Sports ist jener Bereich der Reise einer, der uns Hämophiliepatienten unsere Grenzen am ehesten aufzeigt. Lange, weitreichende Reisen sind selten möglich, und wenn, dann nur mit pedantischer Planung. Möchte man bei einer Expedition in unbekanntes Dschungelgebiet anheuern, wäre davon eher abzuraten. Warum ist das so?
Nun, es ist die Logistik, die uns in unsere Schranken weist. Andererseits lässt sich sagen: Ist die Logistik gemeistert, überwunden, geplant, steht selbst Menschen mit Hämophilie fast jede Reise offen.
Wie immer gilt es zu differenzieren. Zuerst sollte man zu einer realistischen Bewertung der Reise und der Umstände kommen. Dabei helfen einige Fragen, mit denen man sich über diese Umstände klar werden kann.
Wo reise ich?
In unserer Heimat, Deutschland, sind wir mit Faktor gut versorgt. Ein Facharzt ist notfalls in so gut wie allen Regionen des Landes zu erreichen. Die Hämophilie-Zentren und Leiter sind untereinander vernetzt. Im Zweifelsfall ist man schnell wieder zuhause – und einen teuren Flug braucht es nicht. Ein Urlaub in Deutschland ist für Menschen mit Hämophilie das wohlbehütete Optimum.
Es ist eine ganz andere Nummer, wenn ich nach Südamerika fliege und ein Semester in Kolumbien studiere. Hier ist die Versorgung mit Faktor deutlich schlechter. Die Medikamente müssen aus Deutschland mit eingeflogen werden, in einer angemessenen Menge und angemessen gelagert (Hitze?). Hämophilie-Zentren sind eventuell rar gesät, Experten vielleicht nur mit Glück aufzufinden.
Wie reise ich?
Bin ich mit dem Auto unterwegs und fahre runter nach Italien? Fliege ich nach Japan? Laufe ich durch Deutschlands Mittelgebirge? Wie transportiere ich den Faktor? Im Kofferraum, im Handgepäck? Die Frage, wie wir reisen, ist für die Logistik der Medikamente entscheidend.
Wie lange reise ich?
Bin ich zwei Wochen am Königsee in Bayern, verweile in einer alten Almhütte oderwandere ich wochenlang den Jakobsweg durch Nordspanien? In der Almhütte kann ich viel Faktor problemlos aufbewahren.
Bei einer wochenlangen Wanderung sieht es anders aus: Wir können den gesamten Faktor nicht in unserem Wanderrucksack verstauen, ohne dass er Unmengen an Platz wegnimmt und gewichtig auf den Schultern liegt – außerdem würde der nötige Faktor eventuell gar nicht da reinpassen?
Eine findige Alternative für das Beispiel wäre, den Faktor an verschiedene Krankenhäuser oder Hämophilie-Zentren in Städten zu senden, die die Wanderroute säumen. Das ist ein hoher logistischer Aufwand, und es ist nicht sicher, dass das klappt. Aber so w re man im Notfall versorgt. So muss man denken, wenn man als Hämophiler seine Träume verwirklichen möchte.
Wie gefährlich ist die Reise?
Nochmal zurück nach Kolumbien: Da gibt es Ecken, in denen es mitunter gefährlichwerden kann, und nicht zu knapp. Wie viel Faktor man einfliegt, wie viel man in den Tagesrucksack mitnimmt, was man sich traut und was nicht, wird von solchen Umständen bestimmt. Auf einer Wanderrung durch Nordspanien muss klar sein: Wenn ich die Pyrenäen überquere, kann es durchaus so kommen, dass ich böse umknicke oder falle. Da kann es um Leben und Tod gehen, mindestens aber um die Fortsetzung der gerade erst begonnenden Reise. Auf der Alm am Königsee, mit der Liege in der Sonne, da können wir uns schon besser entspannen.
Wie gut ist die ärztliche Versorgung im Reiseland?
Ich habe das schon kurz angesprochen: In Deutschland leben wir als Hämophilie-Patienten im Schlaraffenland, in anderen Teilen der Erde geht es unseren Blutsbrüdern viel schlechter. Ist man dort unterwegs, muss man Turbulenzen einkalkulieren – muss man antizipieren, dass es schwierig wäre, an neuen Faktor zu kommen, wenn einem der eigene ausginge und dass es eine lange Tortur werden könnte, ein Zentrum für Hämophilie oder Fachärzte zu finden. Auf gefährlicheren Reisen ist es besonders wichtig, viel Faktor aus Deutschland dabei zu haben und wenn möglich, sollte dieser am besten immer in Reichweite sein.
Wie viel Faktor ist nötig und wie lagere ich diesen?
Diese Fragen berühren andere Punkte, die bereits angesprochen wurden - nämlich wie gefährlich die Reise ist, wie lange sie dauern wird, wo sie stattfindet und wie man reist. Von all diesen Dingen hängt ab wie viel Faktor wir auf unsere Reise mitnehmen müssen und wie ich in lagere. In jedem Fall sollte dies mit dem Behandler genau abgesprochen werden. Faktorpräparate lassen sich rund sechs Monate ohne Kühlung lagern - viele bis zu 25 Grad. Es braucht also nicht immer einen Kühlschrank oder eine Kühlbox. Für das Reisen ist das eine große Erleichterung.
Wie schwer ist meine Hämophilie?
Eine Überlegung, die den Rahmen für alle anderen Fragen entscheidend absteckt: Habe ich eine schwere, mittelschwere oder nur eine leichte Hämophilie? Schon die Wahl der Reise hängt davon ab! Jemand mit einer sehr schweren Hämophilie könnte sich die Besteigung eines Sechstausenders eventuell gleich sparen, weil es zu gefährlich ist und vielleicht nicht gut ausginge? Jemand mit einer leichten Hämophilie kann dies wahrscheinlich wagen. Patienten mit schwerer Hämophilie müssen natürlich viel mehr Faktor mitnehmen, als es Menschen mit einer leichten Hämophilie müssten.
Alles ist möglich, aber nur gut geplant!
Generell gilt: Die wenigsten Dinge sind mit ein wenig Planung, Ausdauer und Kreativität unmöglich. Es klappt vielleicht nicht immer alles, aber: Ich kenne jemanden mit Hämophilie, der bei den Paralympics für sein Land aufläuft. Ich kenne einen anderen, der begeisterter Bergsteiger ist und schon so manchen Sechstausender bestiegen hat. Ich habe einen Freund, auch er hat Hämophilie, mit welchem ich über die Jahre auf einigen Wanderungen durch so manches Gebirge unterwegs war. Seht ihr? Auch Menschen mit Hämophilie können vermeintliche Grenzen sprengen. Aber: Alles in Absprache mit dem Behandler. Er weiß am besten, wie ihr auf euren Reisen gut versorgt bleibt. Dann ist (fast) alles möglich.In diesem Sinne - gute Reise!